Wollen wir wetten, dass euch oft nicht bewusst ist, wie sexistisch Bücher und Serien sind? Dabei könnt ihr mit einem einfachen Test aufdecken, wie geschickt ihr manipuliert werdet. Dass die Darstellung von Männern und Frauen in Literatur und Film oft klischeehaft ist, ist kein Geheimnis. Doch wie tief die patriarchalischen Muster gehen, wird erst bei einer näheren Betrachtung deutlich. Diese liefert die sogenannte Johanson-Analyse, eine Erweiterung des Bechdel-Tests, von dem ihr vielleicht schon gehört habt. Nach Lektüre dieses Artikels werdet ihr wissen, wie patriarchalisch eure liebste Unterhaltung ist und euch zwangsläufig fragen: wo sind die Frauen?
Wie sexistisch sind Bücher und Filme?
Um Fiktion beurteilen zu können, hat die Filmkritikerin MaryAnn Johanson einen detaillierten Fragebogen entwickelt. Dabei berücksichtigt sie folgende Punkte:
- weibliche Repräsentanz – sind Frauen sichtbar?
- weibliche Autorität – welche Positionen haben Frauen inne?
- männlicher Blick – wie werden Frauen dargestellt?
- Gender und Sexualität – werden Frauen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter reduziert?
Ausführlich befasst sich eine englischsprachige wikipedia-Seite mit der Johanson-Analyse.
Ich wurde zu diesem Artikel durch den Buchblog von Jasper Vormschlag inspiriert, den ich euch nur empfehlen kann.
Wo sind die Frauen?
Alle Theorie ist bekanntlich grau. Darum wird es jetzt bunt und anschaulich. Ich stelle zwei Bücher – Krimis, weil sie besonders oft frauenfeindlich sind – einander gegeneinander. „Abgeschnitten“ aus der Feder von Sebastian Fitzek und „Frau Faust“, das Krimidebüt von Antje Zimmermann“*.
Die wichtigste Frage im Bereich „weibliche Repräsentanz“ lautet: welches Geschlecht hat die Hauptfigur?
- Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos ist die Hauptfigur männlich: der Rechtsmediziner Prof. Dr. Paul Herzfeld.
- Bei „Frau Faust“ von Antje Zimmermann ist die Hauptfigur weiblich: Hauptkommissarin Katharina Sismann.
Im Bereich „weibliche Autorität“ werden die Unterschiede zwischen den beiden Krimis besonders deutlich. Denn hier stellt MaryAnn Johanson die entscheidenden Fragen: werden Frauen in Machtpositionen gezeigt? Gibt es Bösewichtinnen? Und werden weibliche Wesen entführt, vergewaltigt oder ermordet, um einen Mann zu motivieren?
- Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos werden Frauen ganz überwiegend als hilfsbedürftig dargestellt: So muss Linda, eine gebeutelte junge Frau, die von ihrem Ex gestalkt wird, nach telefonischen Anweisungen vom Herrn Professor eine Leichenschau vornehmen.
- Bei „Frau Faust“ von Antje Zimmermann finden sich gleich mehrere Frauen in Machtpositionen. Auch sind sie emotional und finanziell unabhängig von Männern: So die berühmte Schriftstellerin Clarissa Moor, die alle nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Oder die Gerichtsmedizinerin Dr. Nora Derm, die eine anerkannte Autorität ist.
Männliche vs. weibliche Bösewichte
Wahrscheinlich könnt ihr euch schon denken, wie es weitergeht. Dennoch möchte ich die Punkte noch einmal ganz deutlich machen. Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos ist der Antagonist männlich: Wer der Täter ist, soll hier natürlich nicht verraten werden.
Bei „Frau Faust“ von Antje Zimmermann ist die Antagonistin eine Frau. Auch hier gilt: ich möchte nicht spoilern! Vielleicht habt ihr ja Lust, den feministischen Krimi zu lesen*.
Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos wird Lisa Herzfeld, die Tochter des männlichen Protagonisten, entführt. Das motiviert ihn, den Täter zu jagen.
Bei „Frau Faust“ von Antje Zimmermann werden keine Frauen entführt oder vergewaltigt. Die Kommissarin Katharina Sismann, eine frühere Boxerin, ermittelt, weil es ihr Job ist. Und in dem ist sie verdammt gut.
Wo sind die Frauen?
Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos sind Frauen in dunklen Verließen eingesperrt und müssen von herbeieilenden Männern gerettet werden. Dass das bei „Frau Faust“ nicht der Fall ist, muss ich vermutlich nicht extra erwähnen.
Eine weitere wichtige Frage, die MaryAnn Johanson aufwirft, ist: Wird eine weibliche Person komplett von ihrer sexuellen bzw. emotionalen Beziehung zu einem Mann definiert.
- Bei „Abgeschnitten“ von Fitzek/Tsokos wird die weibliche Hauptperson Linda stark durch die Beziehung zu ihrem Ex-Freund Danny geprägt. Er ist der Grund, warum sie nach Helgoland geflüchtet ist. Sie lebt in dauernder Angst vor ihm; denkt immer wieder an die gemeinsame Zeit und das erlittene Leid zurück und so weiter und so fort.
- Bei „Frau Faust“ von Antje Zimmermann werden die weiblichen Charaktere primär durch ihr Streben nach Erfolg definiert. Männer sind in ihren Leben eher „schmückendes Beiwerk“.
Meine abschießende Frage lautet: welcher Krimi interessiert euch mehr? Falls ihr jetzt „Frau Faust“ sagt, erfahrt ihr hier mehr über den feministischen Hardcore Krimi aus Köln.
Offenlegung: Ich bin nicht nur die Autorin dieses Artikels, sondern auch von „Frau Faust“ – aber das habt ihr euch bestimmt schon gedacht. 😉
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Charlotte Fondraz meint
Danke für diesen Artikel. Mir fehlten die konkreten Anhaltspunkte, Bücher nach patriarchalisch und feministisch zu bewerten, aber mit Johansons System ist es ganz einfach. 🙂 Das wende ich demnächst auch mal zum Vergleichen an. Super auch, dass du den Wikipedia-Link dazu gesetzt hast. Merci!!
Antje Zimmermann meint
Vielen Dank für dein Interesse, liebe Charlotte. Ich finde die Analyse von MaryAnn Johanson sehr erhellend und wende sie mittlerweile (bewusst oder unbewusst) auf jede Fiktion an. Denn Bücher und Filme beeinflussen unser aller Denken und Fühlen. Sie bleibt nicht ohne gesellschaftliche Folgen.