Prag – was ist nicht schon alles über die goldene Stadt geschrieben worden. Wahrscheinlich wart ihr auch längst in der tschechischen Hauptstadt und kennt die wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Darum möchte ich euch heute auf eine ungewöhnliche Reise einladen. Sie führt von Prag über Brünn nach Bratislava und zu den schönsten und geschichtsträchtigsten Orten der ehemaligen Tschechoslowakei.
Die magischen „Achter-Jahre“
1918 wurde der erste gemeinsame Staat von Tschechen und Slowaken gegründet. Stolz trafen sich die Menschen damals auf dem Prager Wenzelsplatz, um das Ereignis zu feiern. Das vorübergehende Ende der Tschechoslowakei kam bereits 1938 mit Hitlers Annexion der Sudetengebiete. Im Jahr 1948 erlebte die nach dem II. Weltkrieg wiedervereinte Nation dann die Machtübernahme der Kommunistischen Partei. Und das Jahr 1968 steht für die zerstörte Hoffnung des Prager Frühlings, als Tschechen und Slowaken erfolglos gegen die sowjetische Herrschaft aufbegehrten.
Geschichtsunterricht am Prager Wenzelsplatz
Kein anderer Ort ist so eng mit dem Kampf um Unabhängigkeit und Souveränität verknüpft wie der Prager Wenzelsplatz. Autos kreisen auf der Suche nach einem Parkplatz. Menschen strömen aus den Büros und Geschäften, Aktentaschen und Einkaufstüten fest umklammert – der Wenzelplatz ist geschäftig, nicht schön wie der Altstädter Ring. Die entscheidenden Stunden der Republik haben sich aber hier abgespielt. Heute wird rund um den Wenzelsplatz gebaut. Einer der Bauzäune fällt sofort ins Auge: Statt greller Werbeplakate und hässlicher Schmierereien bietet er anspruchsvollen Geschichtsunterricht.
Erinnerungen an Alexander Dubcek
Fotos und kurze Texte erinnern an die Ereignisse, die jeweils in den Achterjahren auf dem Platz stattgefunden haben. Dem Prager Frühling von 1968 kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Und viele Tschechen denken noch heute an Alexander Dubcek, den damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei – der übrigens Slowake war. Der junge, gutaussehende Mann kämpfte damals für eine bessere Welt. Musste aber erleben, wie sein Land von ungarischen, bulgarischen, polnischen, sowjetischen und auch deutschen Truppen besetzt wurde. Die wechselhafte Geschichte der Tschechoslowakei gipfelte in einer friedlichen Trennung, die sich 2018 zum 25. Mal jährt.
Brünn – der Ort der Scheidung
Mehr über die samtene Scheidung, wie das Ereignis in Anspielung auf die samtene Revolution von 1989 genannt wird, erfahrt ihr im mährischen Brünn. Die Stadt liegt in der Mitte zwischen Prag und Bratislava und genau aus diesem Grund wurde sie ausgesucht, um die Modalitäten der Scheidung zu verhandeln. Hier trafen sich hier der konservative Tscheche Vaclav Klaus und der nationalpopulistische Slowake Vladimir Meciar. Als Verhandlungsort hatten die beiden Politiker die Villa Tugendhat auserkoren.
UNESCO Welterbe: die Villa Tugenthat
Wenn ihr Interesse an Architektur habt, werdet von der Villa Tugenthat begeistert sein – obwohl sie schon knapp 90 Jahre auf den Stahlträgern hat, mutet sie noch heute futuristisch an. Der Deutsche Mies van der Rohe hat das Gebäude 1930 fertiggestellt. Es gilt als Meisterwerk der klassischen modernen Architektur. Und als wichtigstes Werk des Architekten auf europäischem Boden. Von der Straßenseite betrachtet, wirkt die Villa unspektakulär: Ein flaches Dach, eine schlichte, weiße Fassade. Sobald ihr die Villa betretet, ändert sich diese Wahrnehmung. Überall sind Fenster. Durch sie flutet Licht ins Innere. Und spiegelt sich in schmalen Stahlträgern.
Die Villa Tugendhat wurde 2001 zum Weltkulturerbe erklärt. In der Begründung der UNESCO heißt es, dass das Haus einer Revolution gleichkomme. Denn die Räume fließen ineinander und laufen auf den größten und wichtigsten Bereich zu: den Glasraum, wie das Esszimmer genannt wird. Komplett verglaste Wände schaffen hier eine ganz enge Beziehung zwischen drinnen und draußen. Hier könnt ihr fast fühlen, was draußen geschieht.
Und genau das hatte sich das jüdische Unternehmer-Ehepaar Grete und Fritz Tugendhat von ihrem Architekten gewünscht. Die Familie lebte allerdings nur wenige Jahre in dem revolutionären Haus – bereits 1938 mussten sie vor den Nazis fliehen. Danach war die Villa Tanzschule, Gästehaus und schließlich Verhandlungsort. Mit EU-Geldern restauriert, steht das Welterbe seit 2012 Besuchern offen. Die Führungen sind wirklich ein Erlebnis, allerdings müsst ihr zeitig im Voraus buchen, weil sich mittlerweile herumgesprochen hat, wie ungewöhnlich die Villa ist.
Alternative zu Prag: Geheimtipp Brünn
Als die Villa Tugendhat gebaut wurde, war Brünn bereits ein Mekka avantgardistischer Architektur. Auch deshalb lohnt sich ein längerer Aufenthalt in der zweitgrößten tschechischen Stadt. Privathäuser und öffentliche Gebäude entstanden im sogenannten „Funktionalismus“. Bei diesem Baustil treten ästhetische Aspekte hinter dem Verwendungszweck des Gebäudes zurück. Was aber nicht bedeutet, dass sie weniger ansehnlich sind. Ein spannendes Beispiel für den Funktionalismus ist die Alpha-Passage in der Fußgängerzone. Hier gibt es kleine Kaffeehäuser im Inneren. Dazu Geschäfte und ein Theater – wenn ihr genauer hinseht, erkennt ihr, dass die Ecken nicht eckig, sondern abgerundet sind. Ein Erkennungsmerkmal des Funktionalismus: Mit den sanften Übergängen sollten die Menschen in die Läden geleitet werden.
Trauer über die Trennung
Brünn ist erfrischend. Erfrischend anders als Prag. Weniger überlaufen. Weniger überteuert. Weniger zu Tode fotografiert. Dafür voller architektonischer Schätze. Und von der geographischen Lage im Dreiländereck geprägt. Sich von den Slowaken trennen – das wollte in Brünn kaum jemand. Und der Trennungsschmerz ist noch heute spürbar. Entsprechend nostalgisch hat die Stadt die Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich der ersten Staatsgründung vor 100 Jahren inszeniert. So wurden witzige und vor allem wehmütige Events veranstaltet: etwa das größte tschechoslowakische Rendezvous. 1.918 Singles aus Tschechien und der Slowakei haben sich in Brünn getroffen und womöglich ineinander verliebt.
Internationales Flair, günstige Preise
Brünn war schon immer sehr tolerant. Deshalb sind über die Jahrhunderte viele Minderheiten in die mährische Metropole gekommen. Die privilegierte Lage zwischen Prag, Wien und Bratislava machte die Stadt für Händler und Künstler gleichermaßen interessant. In der Folge mischen sich hier Menschen und Traditionen. Heute bevölkern Studenten aus aller Welt die Cafés, Restaurants und Bars. An öffentlichen Plätzen wird musiziert und gelacht, was wunderbar südländisch anmutet. In der Stadt herrscht eine leichte, beschwingte Atmosphäre – und aus deutscher Perspektive ist Brünn zudem ausgesprochen günstig.
Von Prag über Brünn nach Bratislava
Von Brünn sind es nach Bratislava, der Hauptstadt der jungen Slowakei, nur rund 130 Kilometer. Die emotionale Befindlichkeit auf der anderen Seite der Grenze ist aber ein wenig anders – so erzählten es mir zumindest offizielle Gesprächspartner. Als sich am 1. Januar 2018 die Geburt der Slowakei zum 25. Mal jährte, gab es in Bratislava große Feierlichkeiten. Und im slowakischen Fernsehen liefen viele Dokumentationen und Talkshows, in denen die Unabhängigkeit gefeiert wurde. Im Gegensatz dazu soll das tschechische Fernsehen lauter traurige Geschichten über das Ende der Tschechoslowakei gezeigt haben.
Glücklich geschieden – Vorbild für Europa
Nostalgie nach der Trennung – das kennen wohl die meisten Menschen. Gemeinhin gelten Tschechen und Slowaken heute aber als glücklich geschieden. Und es gibt immer noch sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Völkern. Wenn sie gefragt werden, welche Nation ihnen am nächsten steht, verweisen Tschechen und Slowaken jeweils aufeinander. Dass die Bevölkerung vor 25 Jahren nicht gefragt wurde, ob sie überhaupt eine Scheidung will, gerät dabei allmählich in Vergessenheit. Und im Ausland erregt die friedliche Trennung noch heute Bewunderung. Manche Region, wie etwa Katalonien, würde den Slowaken liebend gerne nacheifern.
Historische Anekdötchen
Heute ist Bratislava ein weiß, blau, rotes Fahnenmeer. Die 1992 geschaffene slowakische Flagge weht über vielen Gebäuden. Auch über dem ehemaligen erzbischöflichen Palais. Als die Slowaken vor 25 Jahren ihren ersten Staatspräsidenten wählten, gab es für PräsidentKováčkeine passende Residenz. Stattdessen ein Problem: Wohin nur mit dem Herren Präsidenten? Kurz entschlossen wurde er in den rosafarbenen Bischofspalast gesteckt, der schon den kommunistischen Stadtvätern als Residenz gedient hatte. Zwei Jahre musste das Staatsoberhaupt in dem Provisorium ausharren. Und sich die Räume mit dem Oberbürgermeister der Stadt teilen, der im ersten Stock residierte. Wenn Staatsgäste kamen, rückte man halt zusammen.
Von Prag über Brünn nach Bratislava
In der historischen Altstadt, wo das Palais liegt, erinnert Bratislava an Prag. Pastellfarbene Barockgebäude reihen sich aneinander. Über ihnen thront die wuchtige Pressburg auf einem Felsen. Und zu deren Füßen schlängelt sich die Donau durch die Stadt. Was in Prag der Wenzelsplatz ist, ist in Bratislava der Platz des slowakischen Nationalaufstandes. 1989 gab es hier große, lautstarke Demonstrationen, die den Kommunismus in der Slowakei zu Grabe trugen. Erstaunlich still war es hingegen vor 25 Jahren auf dem Platz, als die tschechoslowakische Scheidung rechtsgültig wurde.
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Die Recherchereise von Prag über Brünn nach Bratislava erfolgte mit freundlicher Unterstützung der tschechischen und slowakischen Tourismuszentralen. Vielen Dank dafür.
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