Wer kennt ihn nicht? Den behäbigen Kommissar Maigret? Mit Melone, Pfeife und großer Kompetenz löst er die ungewöhnlichsten Kriminalfälle. Sein Schöpfer, der Schriftsteller Georges Simenon, gilt als wichtigster französischsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts. Geboren ist der Kultautor in Lüttich, einer facettenreichen Stadt, die Urlaubern viel zu bieten hat. Wer den Spuren von Simenon in Lüttich folgt, entdeckt geheimnisvolle Gassen, versteckte Künstlerateliers und zwielichtige Orte.
Neueröffneter Rundweg: „Parcours Simenon“
Obwohl Georges Simenon nur 19 Jahre in Lüttich lebte, hat die Stadt ihn stark geprägt: Orte und Personen, die er in seiner Jugend kannte, tauchen in vielen seiner Bücher auf. Auch Kommissar Maigret selbst hat Gastauftritte in seiner Geburtsstadt. Die wichtigsten Stationen von Simones Lütticher Leben können Besucher jetzt auf einem Rundgang erleben, der anlässlich seines 120. Geburtstages offiziell eröffnet wurde. Sohn John Simenon war für die feierliche Eröffnung extra nach Lüttich gereist.
Digitaler Guide – die App „Parcours Simenon“
Wer will, kann die kostenlose App „Parcours Simenon“ installieren. Sie führt zu den 17 Stationen des Parcours und liefert wichtige Hintergrundinfos (auch auf Deutsch und Englisch) – die Sprachfunktion ist allerdings auf Französisch beschränkt. Wer es lieber live und lebendig hat, ist bei deutschsprachigen Guides wie Helene Bings bestens aufgehoben. Sie kann alle Fragen beantworten. Auch die, warum ganz Lüttich eine einzige Baustelle zu sein scheint: es wird eine neue Tram gebaut, die im April 2024 fertig sein soll.
Ochsenblutfarbene Stadtpaläste in Lüttich
Der Schönheit der Lütticher Stadtpaläste können Lärm und Matsch aber nichts anhaben. Überall in Lüttich strahlen sie in einem intensiven Rostrot. Ochsenblut heißt die Farbe und genauso sieht sie aus. Auch die zweite Station des „Parcours Simenon“ leuchtet in der Farbe: es ist das Rathaus. Im Souterrain war traditionell die Polizei untergebracht. Und hierhin kam Georges Simenon als junger Volontär der Tageszeitung „La Gazette de Liege“, um die Neuigkeiten zu erfahren. Bereits mit 16 Jahren startete er seine journalistische Karriere.
Simenon als Journalist
Als Azubi musste Simenon all das machen, was die gestandenen Journalisten langweilte: Verkehrsunfälle, kleine Gaunereien und Kneipenschlägereien. „Überfahrene Hunde“ wird das Ressort „Vermischtes“ auf französisch süffisant genannt. Bei den Recherchen im Polizeirevier soll der junge Simenon einem Mann begegnet sein, der ihn nachhaltig beeinflusst hat: Der Fahrer eines Kommissars, der ihm sämtliche Erlebnisse seines Inspektors brühwarm erzählte. Und dieser Mann soll Maigret gehießen haben.
Geburtshaus von Simenon in Lüttich
Gleich hinter dem ochsenblutroten Rathaus liegt die nächste Station des Parcours: eine Parkbank. Ein junger Mann macht hier dutzende Selfies, lehnt sich an eine andere Person, legt den Arm um sie und setzt ihr sogar seine Sonnenbrille auf die Nase – der gusseiserne Georges Simenon erträgt alles geduldig. Mit der Pfeife in der Hand und der Melone auf dem Kopf blickt er huldvoll auf seine Geburtsstadt. Vis-à-vis vom Rathaus, in der Rue Leopold, erblickte der kleine Georges Simenon das Licht der Welt und verlebte die ersten zwei Jahre seines Lebens – auch das Geburtshaus ist natürlich eine Station auf dem Rundgang.
Übernachtungstipp für Lüttich
Auch abseits des Rundgangs hat Lüttich viel zu bieten. Daher wäre es schade, nur für einen Tag in der Stadt zu bleiben. Allein die kulinarischen Highlights – allen voran die belgischen Pommes und das belgische Fruchtbier – lohnen einen längeren Aufenthalt. Zentral gelegen, stylisch und bezahlbar ist das YUST HOTEL LÜTTICH* .
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Umzug ins Viertel Outremeuse
1905 zogen die Simenons auf die andere Seite der Maas. Auf die „schäl Sick“, wie der Kölner sagen würde. Und ins Viertel Outremeuse. Der Weg dahin führt über eine auffällig gebogene Brücke: Le Pont des Arches – die Bogenbrücke – war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts die einzige Brücke über die Maas. Heute hat Lüttich 13 Brücken. Le Pont des Arches bildete den Hintergrund für den ersten Roman, den Georges Simenon geschrieben hat.
La Batte – älteste und größte Wochenmarkt Belgiens
Im zarten Alter von 16 Jahren hat Simenon „Le Pont des Arches“ verfasst: der Roman beschreibt das Leben mit und unter der Brücke. Und hier findet all sonntäglich der legendäre Markt La Batte statt. Er ist der älteste und größte Wochenmarkt Belgiens und wirklich einen Besuch wert.
Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien
Auf der anderen Seite der Maas im Viertel Outremeuse liegt die fünfte Station des Rundgangs: die Kirche Saint-Pholien. Sie ist Schauplatz eines bekannten Maigret-Romans. Die Geschehnisse im Roman sind autobiographischer Natur: ein Bekannter von Simenon wurde 1922 am Türklopfer der Kirche erhängt aufgefunden. Die Polizei ging von Selbstmord aus – dabei haben die Füße des Mannes mit Leichtigkeit den Boden berührt.
Jugendstil in Lüttich
Das Viertel Outremeuse entstand Anfang des 20. Jahrhunderts durch Trockenlegung von Maasarmen. Gebaut wurden breite Straßen und prächtige Jugendstilhäuser. Schmale, hohe Fenster, geometrische Formen und florale Ornamente – die Fassaden im Viertel sind ein Blickfang. Ein Gebäude fällt mit seiner roten Markise und den golden glitzernden Verzierungen besonders ins Auge: die Brasserie Toussaint – ein traditionsreiches Lokal, das es schon zu Simenons Lütticher Zeit gab. Und dass sich seinen historischen Charme bewahrt hat. Es lohnt den Besuch und das gilt auch für das gegenüberliegende Antiquariat.
Mittelalterliche Gassen
Vor der Kirche geht der Rundgang weiter zur Jugendherberge Simenon und zum mittelalterlichen Teil des Viertels. Die breiten, geraden Straßen werden zu engen Kopfsteingassen. Die prächtigen Jugendstilbauten zu windschiefen Häuschen und überall hängen Madonnen-Figuren an den dunklen Steinmauern. In den kleinen, mittelalterlichen Gassen, die es in diesem Viertel gibt, hat sich kaum etwsas verändert. Man kann sich gut vorstellen, wie die Menschen vor 120 Jahren durch stinkenden Unrat gewatet sind. Genau das beschreibt Simenon in seinen Büchern. Der Gestank hat sich verflüchtigt. Die Atmosphäre ist geblieben. Und wird immer geheimnisvoller, je weiter Helene Bings die Gruppe ins Gewirr der kleinen Gassen und zur letzten Station des Parcours führt.
Geheime Künstlergruppe
Ein modernes Ziffernschloss schützt die historische Tür. Die Stadtführerin gibt den vierstelligen Code ein und die Pforte öffnet sich. Über eine knarzende Holztreppe führt ein enges Treppenhaus nach oben. Zwischen seinem 16. und 19. Lebensjahr diskutierte, philosophierte und feierte der junge Georges Simenon hier mit seinen Künstlerfreunden. Große Tafeln hängen an den Wänden und informieren über die anderen Mitglieder der Lütticher Künstlertruppe – die es nicht zu internationaler Bekanntheit gebracht haben.
Sonderausstellung mit Fotografien von Simenon
Auch abseits des Parcours können Simenon-Fans überraschende Entdeckungen machen. Im ochsenblutroten Curtius Palast, der heute ein Museum ist, hängen hunderte Fotografien, die der Schriftsteller gemacht hat. Gut ein Dutzend der Fotos sind frühe Selfies, die Georges Simenon mit Hilfe eines Selbstauslösers gemacht hat. Sie zeigen ihn in exotischen Ländern, mit Tropenhut und der unverzichtbaren Pfeife. Die anderen Bilder portraitieren Menschen an Orten, die er bereist hat: Wüstenbewohner, Meeresanrainer und Stadtmenschen.
Wo immer Simenon hinkam, besuchte er die unterprivilegierten Viertel. Sein suchendes Kameraauge entdeckte zielsicher Gesichter, die von Trauer, Wut, aber auch von Hoffnung erfüllt sind.Entstanden sind die Fotos in den Jahren zwischen 1930 – 1935. In der damaligen belgischen Kolonie Kongo, der ukrainischen Hafenstadt Odessa und natürlich in Paris. Noch bis zum 27. August zeigt Simenons Heimatstadt die ungewöhnlichen Fotografien, die so viel über den Mann hinter der Kamera verraten.
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