Die 1917 in Leiden gegründete Künstlerbewegung „De Stijl“ beeinflusst bis heute Mode, Design und Werbung – und damit unser aller Leben. Spannende Zeugnisse der Epoche findet ihr nicht nur in den Metropolen Amsterdam und Rotterdam, sondern auch an Orten, die wir Deutsche nur selten besuchen. Wie aus einer großen, bunten Bonbontüte könnt ihr euch in Holland die Dinge heraussuchen, die euch am meisten begeistern. Hier kommen meine Tipps für besonders spannende Begegnungen mit Kunst, Kreativität und Kuriositäten in Holland.
Das Rietveld-Schröder-Haus in Utrecht
Ablehnung und Unverständnis – das waren die Reaktionen der Nachbarn, als sie das erste Mal das Rietveld-Schröder-Haus sahen: Ein kleiner Kubus. Mit weißen, grauen und schwarzen Wänden. Dazwischen große Glasflächen. Das Haus, das Gerrit Rietveld 1924 in Utrecht baute, ist auf das Wesentliche reduziert. Und wirkt dennoch wie ein Kunstwerk. Der gelernte Kunsttischler arbeitete hier erstmalig als Architekt – im Auftrag der Anwaltswitwe Truss Schröder. Die beiden hatten eine heimliche Liebesaffäre und die gleichen revolutionären Gedanken.
Kunstmäzenin verliebt sich
Als Mitglied der avantgardistischen Künstlergruppe De Stijl wollte Gerrit Rietveld die Welt neu gestalten. Und Truus Schröder suchte den radikalen Bruch mit dem Bürgertum. Ihr neues Heim sollte Ausdruck ihrer modernen Gesinnung sein. Die Kunst-Mäzenin lebte bis zu ihrem Tod 1985 in dem Haus, das mittlerweile zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Wer das Gebäude heute besichtigt, wird überrascht und inspiriert sein, denn es ist immer noch schlicht revolutionär: Vor allem der Umgang mit Raum. Sämtliche Wände im ersten Stock lassen sich bewegen und aus kleinen, abgetrennten Zimmern wird so ein großer, offener Raum. Licht strömt durch die Fensterfronten und zeigt die Genialität des Architekten, der durch mobile Trennwände drastische Veränderungen schafft.
Auch interessant: Wie ungewöhnlich der Advent in der Stadt gefeiert wird, könnt ihr hier lesen: Weihnachten originell in Utrecht.
Rot, gelb und blau = Mondrian!
Gerrit Rietveld war der begnadetste Architekt der De Stijl-Bewegung; Piet Mondrian ihr wohl berühmtester Vertreter. Rot, gelb und blau. Die drei Primärfarben finden sich auf seinen Kunstwerken wieder. Und werden im Jubiläumsjahr mit einer großen Ausstellung im Gemeentemuseum in Den Haag geehrt. Das Museum besitzt die größte Mondrian-Sammlung der Welt und zeigt zum ersten Mal in seiner Geschichte alle 300 Mondrians in einer Ausstellung. Lohnenswert ist auch ein Besuch im Städtchen Amersfoort. Der Geburtsort Mondrians ist eine wunderschöne, mittelalterliche Stadt, in der man dem Menschen Mondrian nahekommt.
Kunst, Kreativität & Kuriositäten in Holland – das Mittelalterstädtchen Amersfoort
1872 in Amersfoort geboren, verbrachte Piet Mondrian seine ersten Lebensjahre in ärmlichen Verhältnissen. Das Haus der Familie liegt unmittelbar an einem Kanal. Was heute pittoresk anmutet, war damals riskant. Bei Hochwasser lief das alte Gebäude regelmäßig voll. Der widrige Start ins Leben und später die Verheerungen des ersten Weltkrieges prägten den Künstler, der 1917 zu den Gründungsmitgliedern von De Stijl zählte. Mondrians Geburtshaus ist schon lange ein Museum und für das Jubiläum wird es aufwändig renoviert, um Besuchern zu zeigen, was sich in Mondrians Kopf abgespielt hat. Wie seine Visionen einer besseren Welt entstanden.
Design-Hauptstadt der Niederlande
Wie lebendig die Ideen der Künstlergruppe noch heute in den Niederlanden sind, spürt man am deutlichsten in Eindhoven. Die Stadt liegt in der Provinz Nordbrabant und gilt mittlerweile als Design-Hauptstadt des Landes, denn an der örtlichen Design-Akademie studiert die heutige Avantgarde. Zu ihr zählt Piet Hein Eek. Durch Recycling alter Materialen ist er zum Designstar geworden. Auf einem früheren Werksgelände der Firma Phillips hat Piet Hein Eek in Eindhoven eine Welt nach seinen Vorstellungen geschaffen: Ein Gesamterlebnis aus Stahl, Glas und Ziegeln, das Besuchern an sieben Tagen in der Woche offensteht.
Kunst, Kreativität & Kuriositäten in Holland unter einem Dach
Altholz, von hellbeige bis dunkelbraun, als Patchwork angeordnet und auf Hochglanz lackiert – dieses Material ist das Erkennungszeichen von Piet Hein Eek. Produziert wird alles vor Ort. Und eine rundum Verglasung erlaubt Einblicke in sämtliche Produktionsschritte. Oberhalb der Werkshalle liegen die Verkaufsräume. Eine Frau streicht hier liebevoll über die lackierten Fronten einer Küchenzeile. Zwei junge Leute probieren geräuschvoll ein großes Bett aus. Und Kinder tollen zwischen bunten Stühlen umher. Im Showroom geht es genauso entspannt zu, wie im Büro von Piet Hein Eek. Der 49-Jährige erinnert eher an einen Studenten im fortgeschrittenen Semester, als an einen erfolgreichen Unternehmer. Dabei sorgt sein Dutch Design international für Furore.
Blick in die Zukunft
Wie weit niederländische Kreativität gehen kann, ist dann im Mu zu sehen. Es ist vermutlich einer der ungewöhnlichsten Orte des ganzen Landes. Durch schwarzverhangene Tunnel gelangen Besucher zu dem sensationellen Zusammenspiel von Kunst, Design und Zukunftsvision. Überall herrscht Dunkelheit, nur die einzelnen Objekte sind beleuchtet. Wie das Werk der Designerin Theresa van Dongen: Kleine Reagenzgläser, gefüllt mit trüber Flüssigkeit. Dabei handelt es sich um Wasser und Matsch, in denen verschiedene Bakterien leben. Wenn man diese gut füttert, geben sie kleine Mengen an Elektrizität ab. Und mit dieser Elektrizität wird eine kleine Lampe betreiben.
Noch mehr Kuriositäten in Holland
Ob wir künftig unseren Kaffee mit Matsch-Strom aus dem Vorgarten kochen? Ein amüsanter Gedanke, der der Designerin schon zahlreiche Preise eingebracht hat. Im nächsten Raum stehen große, leuchtende Vasen. In ihnen wachsen Pflanzen, die sich bei näherer Betrachtung als Seegras entpuppen. Der Entwurf von Sandra van Eick sieht aus wie die in den 70er Jahren sehr populären Lavalampen. Aber es sind natürliche Farben, die das Seegras produziert: Pink, Orange und Purpur. Die Pflanzen stecken in einer Nährlösung, die sie mit Sauerstoff und weiteren Substanzen versorgt. Und solange das Seegras am Leben ist, sondert es das strahlende Licht ab.
Glückliche Zufälle, die die Menschheit voranbringen
Es steckt sehr viel Recherche und Forschung in den Arbeiten. Und die Werke sind natürlich noch nicht markttauglich. Vermutlich werden es die meisten Exponate aus dem Mu auch nie in unsern Alltag schaffen. Aber allein ihre Existenz bringt die Dinge in Bewegung. Denn Wissenschaft und Kunst haben viel gemeinsam. In früheren Jahrhunderten galten sie sogar als Einheit. Aktuell haben sie sich zwar auseinander entwickelt, aber im Mu wird versucht, sie wieder zusammenzubringen.
Die Recherchereise wurde vom Niederländisches Büro für Tourismus & Convention (NBTC) unterstützt. Herzlichen Dank dafür!
Schreibe einen Kommentar