Im Jahr 1362 tobt ein gewaltiger Orkan über die Nordseeküste. Deiche brechen. Tausende Menschen ertrinken. Und ganze Ortschaften verschwinden für immer. Einer dieser untergegangenen Orte ist Rungholt, das vielen als Atlantis der Nordsee gilt. Rungholt war eine bedeutende Handelsstadt auf der Insel Strand. Die Bewohner handelten mit weit entfernten Ländern und galten als märchenhaft reich. 1634 fegt der nächste Jahrhundertsturm über das Gebiet. Er zerreißt Strand in zwei Teile: zurück bleiben die kleinen Inseln Pellworm und Nordstrand, zwischen ihnen das Wattenmeer. Bei Ebbe finden sich heute überall auf dem Meeresgrund Relikte der untergegangenen Welt.
Versunkene Welten im Watt
Der Blick reicht bis zum Horizont. Sonnenlicht tanzt auf den Wellen und hunderte Schafe grasen auf den Deichen. Auf Pellworm ist alles intensiv: das Licht, die Winde und die Wellen. Die Sturmfluten der vergangenen Jahrhunderte haben das kollektive Gedächtnis der Insel geprägt. Während er das erzählt, streicht sich Dierk Jensen das helle Haar aus dem wettergegerbten Gesicht. Seine Familie lebt schon seit Generationen auf der drittgrößten Nordseeinsel. Als junger Mann ist er um die Welt gereist. Heute verbringt er immer mehr Zeit auf Pellworm, wo er seit Anfang 2022 als ehrenamtlicher Archivar arbeitet und die Erinnerungen der Insel bewahrt.
Legenden umwobenes Rungholt
Zu den wichtigsten Erinnerungen Pellworms zählt Rungholt. Ein Ort, um den sich unzählige Legenden ranken. Manchen gilt Rungholt gar als das verschollene Atlantis. Dierk Jensen fasst die Fakten zusammen, soweit sie bekannt sind: Im 13. Jahrhundert haben bis zu 2.000 Menschen in der Stadt gelebt. Zum Vergleich: damals gab es in Hamburg 5.000 Menschen, was zeigt, wie bedeutsam Rungholt gewesen sein muss. Sie handelten mit Salz und brachten es bis nach Flandern und ins Rheinland.
Übernachtungstipp für Pellworm
In einem der schönsten historischen Häuser können Feriengäste heute übernachten: der Rickmer’s Hoff* vereint Geschichte und Geschmack für besondere Urlaubsmomente.
Wo liegt das versunkene Rungholt?
Doch wo genau lag die versunkene Stadt? Die Forschung verortet Rungholt bei der Hallig Südfall. Die kleine Hallig liegt im Nationalpark schleswig-holsteinisches Wattenmeer – ungefähr in der Mitte zwischen Pellworm und der Halbinsel Nordstrand. Früher einmal hatten beide zusammen die weit größere Insel Strand gebildet. Die heutige Struktur von Nordfriesland hat nur noch wenig mit der des Mittelalters gemein. Wo heute Watt ist, waren früher Weiden und Warften – so werden aufgeschüttete Siedlungshügel bezeichnet.
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Zu Fuß oder mit der Postkutsche zur Hallig Südfall
Bei Ebbe ist die Hallig Südfall von der Halbinsel Nordstrand zu Fuß oder mit der Pferdekutsche zu erreichen. Auf dem Weg zu ihr laufen die Menschen über uralte Siedlungsspuren. Und entdecken manchmal sogar Artefakte aus Rungholt. Von Pellworm ist es in den Sommermonaten möglich, mit dem Schiff überzusetzen.
Alle Infos zur Hallig Südfall
Der Rungholt-Forscher von Pellworm
Wie kein Zweiter kennt Helmut Bahnsen sich im Watt aus. Über fünf Jahrzehnte hat der Wasserbauer und Fischer im Watt alles gesammelt, was die See wieder hergab. Die Funde präsentiert er in einem kleinen Museum, das er aus privaten Mitteln betreibt. Als Helmut Bahnsen in den 1970er Jahren anfing, wurde er belächelt, denn seine Nachbarn verstanden den Wert der archäologischen Funde nicht. Erst als Wissenschaftler vom Festland seiner Arbeit Respekt zollten, änderte sich das. Allein oder mit seiner Frau Rita und später auch mit Besuchergruppen streifte Helmut Bahnsen Jahr für Jahr durch das Watt und sammelte – zum Teil jahrtausendealte Artefakte, die er heute bei Führungen durch sein Museum stolz präsentiert.
Das Rungholtmuseum auf Pellworm
Tausende Keramikscherben sind in dem kleinen Museum ausgestellt. Dazu tierische und menschliche Skelette – ein Totenschädel zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Genauso wie die Waffen, die Helmut Bahnsen bei seinen Wattspaziergängen entdeckt hat. Stechend scharf und glänzend sind die Dolche. Weder die Zeit noch der Sand konnten ihm etwas anhaben. Ob sie aus Rungholt stammen, wollen die Besucher sofort wissen. Was der Museumsleiter verneinen muss. In Rungholt war er viermal auf Spurensuche, konnte aber nur wenige Relikte bergen, die heute natürlich auch im Museum stehen.
Auch wenn die Ausbeute vergleichbar mager ist – das Interesse der Besucher an Rungholt ist gigantisch. Denn der Mythos lockt die Menschen ins Museum und nach Pellworm.
Wattwanderungen auf Pellworm
Aus Altersgründen bietet Helmut Bahnsen keine Wattspaziergänge mehr an. Wer heute bei Ebbe über das versunkene Land rund um Pellworm wandern und vielleicht etwas Sensationelles entdecken möchte, kann sich Skipper Andreas Hellmann anschließen. Zusammen mit seinem Bruder bietet er Schiffstouren an, die tief in den Nationalpark Wattenmeer führen. Schatzsucher müssen dabei aber etwas beachten: Vor 1978 durften Sammler alles, was sie gefunden haben, behalten. Bis in die 90er Jahre stand ihnen noch die Hälfte zu, die andere gehörte dem Land Schleswig-Holstein. Heute muss alles dem Land komplett abgegeben werden.
Skipper Andreas Hellmann glaubt, dass dadurch manche Menschen ihre Funde erst gar nicht melden. Und so womöglich Exponate in privaten Sammlungen verschwinden, die der Forschung Aufschluss über die versunkene Stadt Rungholt geben könnten. Ohne sie bleibt aber mehr Stoff für Legenden über das Atlantis der Nordsee.
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