Gemüse, das ohne Erde wächst? Häuser aus Plastik? Fußböden aus Kressesamen? Klingt verrückt? Ist es aber nicht! Die Floriade zeigt spektakuläre Projekte und Prototypen, die unsere Städte in Zukunft grüner, gesunder und energieeffizienter machen. Das alles ist mit „Growing Green Cities“ überschrieben und für Besucher ein inspirierendes Erlebnis. Die Floriade im holländischen Almere ist noch bis zum 9. Oktober geöffnet.
Wie wollen wir uns künftig ernähren ?
Durch Appelle lassen sich die Menschen nicht überzeugen, aber durch Geschmack. Jeder Apfel, jede Orange, jeder Kopfsalat, jede Tomate müsse künftig so gut schmecken, dass sie wieder und wieder gegessen werden. Während er das sagt, offeriert Maurice Wubben eine große Schale mit Tomaten. Sie sind klein, rund und rot. Ganz wie unsere gewohnte Supermarktware – doch kaum drei Sekunden im Mund ist nichts mehr wie gewohnt. Honigtomaten heißen die kleinen Köstlichkeiten und Maurice Wubben macht es sichtlich Spaß, sie zu verteilen.
Maurice Wubben ist Gewächshausmanager auf der Floriade. Er managt das fußballfeldgroße Ausstellungsgebäude – der niederländische Beitrag zur Expo. Indoorfarming ist eines der spannendsten Themen im gigantischen Gewächshaus.
Indoor Farming – die vertikale Zukunft?
Die vertikale Vorzeigefarm auf der Floriade arbeitet vollautomatisch. Die noch jungen Pflänzchen sind in lilafarbenes LED-Licht getaucht. Sie wachsen auf Kunststoffnetzen – Sensoren überwachen das Geschehen und lassen bei Bedarf Wasser und Nährstoffe regnen. Die futuristische Anlage stammt von einem örtlichen Startup, das bereits Kunden in New York City beliefert.
Normalerweise bekommen die New Yorker ihr Gemüse aus Kalifornien. Es muss also durch das ganze Land bis nach New York gebracht werden. Doch Indoor Farming ist mitten in der Metropole möglich. Ohne Pestizide. Ohne endlose LKW-Fahrten. Der Energieverbrauch sei durch Solaranlagen und Windkraft überschaubar und die Ernten immer vorhersehbar. Wenn es nach den holländischen Herstellern geht, stehen vertikale Farmen bald neben den Supermärkten unserer Metropolen.
Köstliche Verkostungen auf der Floriade
Voll automatisierte Indoorfarmen, bevölkert von Drohnen und gelenkt per App – für die meisten Besucher ist das Zukunftsmusik. Für manche gar eine Kakophonie. Einhelligen Applaus gibt es aber für die Ausbeute des gigantischen Gewächshauses. Mehrere Mitarbeiter sind den ganzen Tag damit beschäftigt, das angebaute Obst und Gemüse zu waschen, in mundgerechte Stücke zu schneiden und für die Besucher auszulegen. Auf besonderes Interesse stößt der Kohlrabi. Er wächst in großen Wasserbecken, genauso wie dutzende Salatköpfe. Gestützt von einem schmalen Styroporgerüst schwimmt das Gemüse auf der Wasseroberfläche.
Übernachtungstipp für die Floriade
Das Van der Valk Hotel Almere liegt direkt beim Expo-Gelände* und bietet sehr schöne Räume – die nach hinten liegenden Zimmer setzen das Naturerlebnis der Floriade sogar fort. Denn hier gibt es stakende Reiher und kleine Ruderboote. Das Frühstücksbuffet ist sehr üppig und wird in einem ansprechenden Raum serviert.
Utopia Eiland auf der Floriade
Die Frage, wie sich die wachsende Weltbevölkerung künftig ernähren wird, treibt auch Xavier San Giorgi um. Seine Antwort unterscheidet sich allerdings fundamental vom Indoor Farming. Ihm geht es um die Wiederherstellung unseres Ökosystems – erreichen möchte er das durch Agroforstwirtschaft.
Wie die funktioniert, erleben Besucher in drei ganz unterschiedlichen Landschaften. Die drei Landschaften liegen auf Utopia Island. Einer Insel am äußersten Rand der Floriade. Ein Leuchtturm weist Besuchern den Weg zum Idyll. Dort angekommen, wandelt sich die Atmosphäre. Statt vielstimmiger Unterhaltungen zwitschern die Vögel. Bienen summen über den Beeten und viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich auf Utopia Island. Sie arbeiten in den verschiedenen Gärten, führen Gruppen herum oder spielen auf der Bühne des Waldtheaters.
Für sie ist klar, dass Innovationen mit dem Verständnis der Natur einhergehen. Wenn wir mit den Mustern der Natur arbeiten, statt gegen sie zu kämpfen, könnten wir uns unser Ökosystem wiederherstellen. Für Xavier San Giorgi und seine Mitstreiter beginnt alles mit der Erziehung. Und so beherbergt Utopia Island auch den Schulgarten von Almere.
Der essbare Wald
Monokulturen, erschöpfte Böden, Pestizide – die Konsequenzen unserer bisherigen Landwirtschaft sind bekannt. Immer stärker belastete Lebensmittel, noch mehr Rodungen – das alles führe nur noch in die falsche Richtung. In die richtige Richtung gehe hingegen der essbare Wald: der zweite Landschaftstyp auf Utopia Island. Ein essbarer Wald imitiert den natürlichen Wald, ist aber auf essbare Arten, wie Walnussbäume, Beerensträucher oder – angesichts der Klimakrise – auch auf Kiwis ausgerichtet.
Über 150 verschiedene Obst- und Gemüsesorten wachsen im essbaren Wald. Aber lassen sich damit acht Milliarden Menschen weltweit ernähren? Für Xavier San Giorgi stellt sich die Frage nicht. Nahrung sei genügend vorhanden – die Frage sei, ob wir aufhören, unser Essen zu verschwenden. Und es künftig gerecht verteilen.
Faszinierende Agroforstwirtschaft auf der Floriade
Künftige Anbaumethoden müssten viel weitergehen. Und wie das funktionieren kann, zeigt Utopia Island in der dritten Landschaft. Dort gedeiht ein perfekt abgestimmtes System. Obstbäume stehen auf den Äckern. Sie spenden Schatten. Schützen vor Wind. Speichern Wasser. Düngen den Boden. Schaffen ein gesundes Mikroklima und liefern frische Früchte. Das Zusammenspiel von Feld und Wald wird als Agroforstwirtschaft bezeichnet. Was als Agrar-Revolution gilt, ist eigentlich eine Rückbesinnung auf altes Wissen – so waren etwa frühere Streuobstwiesen bereits auf eine Mehrfachnutzung angelegt. In der modernen Agroforstwirtschaft werden Land- und Forstwirtschaft allerdings so kombiniert, dass sie größtmögliche ökologische und ökonomische Vorteile bringen.
Wie kann Verteilungsgerechtigkeit erreicht werden?
Agroforstwirtschaftliche Ansätze, davon sind die Befürworter überzeugt, können den gesamten Planeten ernähren.
Indoorfarmen oder Agroforstwirtschaft? Oder beides, je nach Standort? Nicht nur bei der Nahrungsmittelproduktion bietet die Floriade spannende Ideen und Projekte.
Plastik- und Pilzhäuser auf der Floriade
Kurz vor dem Eingang zu Utopia Island steht ein kleines, graues Häuschen. Es liegt idyllisch am Wasser. Sand ist aufgeschüttet und ein kleiner Steg lädt zum Sonnenbaden ein. Ein Urlaubsidyll, das seinen wahren Charakter selbst bei näherer Betrachtung nicht preisgibt. Der erschließt sich erst hinter dem Häuschen – hier schwimmt ein großer Plastikhaufen auf der Wasseroberfläche. Ganz so, wie weltweit in unseren Meeren. Und genau aus solchem Plastik ist das kleine Badehäuschen gebaut. Nur eines von vielen Gebäuden, das Besucher auf der Floriade staunen lässt.
„Die grüne Lunge“ – so der Spitzname – ist das auffälligste Gebäude auf dem Gelände der Floriade. Ein faszinierendes Beispiel für naturnahes Bauen. In das Gebäude sind Vogelnester integriert, die Außenmauern sind komplett begrünt und auf dem Dach ist eine Solaranlage. Es produziert mehr Energie, als es verbraucht. Auf dem Dach gibt es auch einen sehr schönen Garten und da sammeln sie das Regenwasser. 50.000 Liter und das wird genutzt, um die grünen Wände in trockenen Perioden zu bewässern.
Growing Green Cities auf der Floriade
Die „grüne Lunge“ ist das spektakulärste Gebäude auf dem Gelände – das Pilzhäuschen das skurrilste. Die Außenwände bestehen aus dem Pilzgeflecht, das unter der Erde im Verborgenen wächst. Myzel heißt das Wurzelwerk von Großpilzen, das sich über riesige Flächen erstreckt. Kombiniert mit Hanf oder Flachs entsteht daraus ein robuster Rohstoff, der nach Hersteller-Auskunft wasserabweisend und feuerdämmend ist.
Das Gebäude soll ein breiteres Bewusstsein über mögliche neue und regionale Baumaterialien zu schaffen – anstelle von Beton. Und damit ja niemandem entgeht, wie revolutionär der kleine Rundbau ist, stehen vor ihm drei überdimensionale Pilze. Komplett mit Hut, Stiel und Lamellen. Bei Regen könnten sie einer ganzen Familie Schutz bieten. Nachwachsende Materialien, die vor Ort existieren. Ein Thema, das angesichts der aktuellen weltweiten Krisen immer wichtiger wird.
Neue Baumaterialien aus Pilzen und Hanf
Durch steigende Meeresspiegel sind die Niederlande in der Klimakatastrophe konkret bedroht. Und wer unmittelbar betroffen ist, handelt in der Regel. Almere liegt in Flevoland – die Provinz ist die jüngste des Landes. Und der gesamte Boden ist eigentlich Meeresgrund, der im 20. Jahrhundert nach und nach trockengelegt wurde. Brücken sind in der Region wichtig. Und so ist die Floriade auch zu einem Showroom für moderne Brückentechnologie geworden, die altes Material recyceln und trotzdem genauso tragfähig sind.
Weiterlesen: Die Provinz Flevoland – Entlang von Tulpenfeldern zum IJseelmeer.
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