Vorurteile sind hartnäckig. Das habe ich kürzlich wieder auf einer Party erlebt. Ein Kölner Partygast hat über das Ruhrgebiet geschimpft. Wie grau und trist es sei. Meine Versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, waren vergeblich. Dass ich mehrere NRW-Reiseführer geschrieben habe und seit Jahren über den „Pott“ berichte, hat ihn überhaupt nicht interessiert. Deshalb möchte ich in diesem Artikel die Natur im Ruhrgebiet würdigen und 7 besonders schöne Ausflüge vorstellen, die intensive Begegnungen mit Fauna und Flora der Region bieten.
Grüner Wassertourismus
In einem Punkt muss ich dem Unkenrufer recht geben: Die Ruhr war früher ein furchtbar schmutziges Industriegewässer. Aber das war einmal. Heute ist die Ruhr so sauber, dass selbst die empfindlichen Lachse in dem Fluss wieder laichen. Besonders reizvoll ist es, die Perspektive zu wechseln und die Ruhr nicht nur vom Ufer aus zu erleben. Seit einigen Jahren gibt es in Mülheim a. d. Ruhr die „Grüne Flotte“. Ausflügler und Urlauber können verschiedene Boote anmieten und die Flusslandschaft im Revier ganz intensiv erleben. Es gibt Kanus und Wikingerboote. Sportliche Hausboote und meine persönlichen Lieblinge: die „Escargots“.
Hausbootfahren auf der Ruhr
„Escargot“ ist französisch und heißt Schnecke. Wer die Hausboote betrachtet, die sich im Schneckentempo über die Ruhr bewegen, weiß sofort, woher der Name kommt. Es gibt drei verschiedene „Schnecken“ – alle werden mit Muskelkraft betrieben. Genau genommen müsst ihr strampeln wie beim Fahrrad. Das geht dann zwar nur langsam voran, aber umso intensiver ist das Landschaftserlebnis: Ihr könnt die Natur im Ruhrgebiet in Ruhe betrachten. Euch an Wasservögeln, weidenden Kühen und alten Bäumen erfreuen. Die Boote bieten Platz für 4 Personen, mit entsprechenden Schlafplätzen und einer Kochnische.
Saison haben die Hausboote auf der Ruhr übrigens zwischen dem 1. Mai und dem 30. Oktober.
Halden Hügel Hopping
Dass das Ruhrgebiet perfekt für Wanderungen ist, mag überraschen. Tatsächlich gibt es viele Routen, die nicht nur die wild wuchernde Natur im Ruhrgebiet zeigen, sondern auch spannende Begegnungen mit der industriellen Vergangenheit bieten. Die wahrscheinlich originellste Wandermöglichkeit ist das Halden Hügel Hopping.
Das Halden-Hügel-Hopping ist eine neue Themenroute im nördlichen Ruhrgebiet. Zur Info für Ortsunkundige: Halden sind künstlich aufgeschüttete Hügel und über die dürfen Wanderer jetzt „hoppen“: insgesamt 17 künstliche, kleine Berge und vier natürliche Hügel wurden in die unterschiedlichen Themenrouten eingebunden. Unterwegs gibt es 150 Stationen, die über Geschichte, Fauna und Flora informieren. Spektakuläre Bauwerke und Ausblicke bieten.
Natur im Ruhrgebiet – neue Themenroute
Insgesamt gibt es zwölf verschiedene Routen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – gemeinsam ist ihnen das intensive Naturerlebnis: Schwarzkiefern, Ahorn und Pappeln wurden im unteren Bereich der Halden angepflanzt, um die Aufschüttungen zu stabilisieren. Je weiter Wanderer nach oben kommen, desto mehr bleibt die Natur sich selbst überlassen. Hunderte Arten haben sich hier auf kleinstem Raum angesiedelt. Es macht Spaß, sie zu entdecken und zu identifizieren.
Weiterlesen: Der Berg ruft – Halden-Hügel-Hopping im Ruhrgebiet.
Origineller Übernachtungstipp im Ruhrgebiet
In unmittelbarer Nähe der Zeche Zollverein – wohin mein nächster Tipp führt – liegt die „Alte Lohnhalle“ in Essen-Kray.** Ein wunderschönes, denkmalgeschütztes Gebäude, das Industriegeschichte mit moderner Hotelerie verknüpft. Es gibt Führungen durch die imposante Lobby, in der Bergleute früher den Lohn für ihre harte Arbeit in Empfang genommen haben – daher der Name. Der ganze Ort verströmt Geschichte und gleich neben dem Hotel liegt die stillgelegte Zeche Bonifacius.
Auch interessant: Mehr zur „Alten Lohnhalle“ und anderen ungewöhnlichen Übernachtungsmöglichkeiten in NRW erfahrt ich hier.
Naturführungen auf Zollverein
Fledermäuse, Bienen und Kreuzkröten – seit rund sechs Jahren gibt es faszinierende Natur-Führungen auf dem Gelände von Zeche Zollverein. Sie werden in Zusammenarbeit mit dem NABU im Ruhrgebiet und dem Ruhr Museum durchgeführt. Und bieten tiefe Einblicke in die eigentümliche Schönheit des Ortes und die enorme Kraft der Natur. Frösche, Molche und Kröten – sie alle leben in den verschiedenen Feuchtbiotopen der großen Industriebrache. Birken wachsen überall auf alten Bahntrassen. Und Wildbienen fliegen von einer Blüte zur nächsten.
Natur im Ruhrgebiet – Seltene Tiere und Pflanzen
Natürlich ist Zollverein auch eine Welt aus Stein und Stahl. Mich hat das Welterbe immer an Fritz Langs berühmten Film „Metropolis“ erinnert. Überall stehen wuchtige, quadratische Bauten. Alte Fördergerüste und Kamine ragen bis zu 100 Meter in die Höhe. Die früheren Arbeiter müssen sich in dieser Kulisse klein und unbedeutend gefühlt haben, zumindest habe ich mich bei meinem ersten Besuch so gefühlt.
Neophyten aus aller Welt
Aber schon seit einiger Zeit übernimmt die Natur die Herrschaft auf Zollverein. Neophyten – das sind jüngst zugewanderte Pflanzen – machen sich hier breit. Genauso wie seltene, geschützte Arten, die auf der Industriebrache ein Refugium gefunden haben. Die Artenvielfalt und Schönheit ist schier überwältigend, gerade in Kombinationen mit den historischen Industriegebäuden. Das Welterbe-Gelände hat heute dreimal so viele Pflanzen wie 1820 ein Biologe in Essen festgestellt hat.
Pralle Natur im Ruhrgebiet – Die erste Gartenstadt Deutschlands
Wir bleiben in Essen und besuchen einen Stadtteil, den so vermutlich niemand im Ruhrgebiet erwartet hätte. Und der so schön ist, dass ich mich hier spontan über Nacht einquartiert habe. Aber der Reihe nach. Margarethenhöhe – bereits der Name des Stadtteils ist malerisch. Namensgeberin ist Margarethe Krupp. Die Industriellengattin war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts überzeugt, dass die Menschen im Revier einen Ausgleich zu ihrer harten Arbeit brauchen.
Üppige Gärten im Revier
So entstand die Siedlung, in der jedes Häuschen von einem üppigen Garten umgeben ist. Gemüse wächst in den Beeten. Blumen duften. Und Menschen sitzen auf bequemen Holzbänken in der Sonne. Wer ein Häuschen auf der Margarethenhöhe besitzt, kann sich glücklich schätzen. Sie sind sehr begehrt und kaum jemals auf dem freien Wohnungsmarkt zu bekommen. Führungen durch die Siedlung sind so konzipiert, dass sie zu den schönsten Vorgärten und den architektonisch reizvollsten Gebäuden führen.
Idyllisch Übernachten in Essen
In der Mitte der Häuschen gibt es einen großen Platz. Hier findet der Wochenmarkt statt und hier liegt das Mintrops Stadt Hotel zur Margarethenhöhe**, in dem ich übernachtet habe, um mehr über die visionäre Industriellengattin zu erfahren.
Extratipp: 2017 war Essen sogar die „Grüne Hauptstadt Europas“.
Badesee inmitten der Natur im Ruhrgebiet
Der Baldeneysee ist der größte der sechs Ruhrstauseen – schon länger gibt es an seinem Ufer einen schicken Beachclub. Seit Mai 2017 darf hier jetzt auch gebadet werden. Die Menschen erfrischen sich im kühlen Nass des ehemaligen Industrieflusses und liegen im Schatten üppiger Bäume. Urlaubsfeeling mitten im Ballungsraum.
Wie eingangs erwähnt: die Ruhr war einmal der dreckigste Industriefluss Europas. Doch längst entspricht der Fluss den strengen Richtlinien der europäischen Badegewässerverordnung. Angefangen hat der Transformationsprozess 1989 mit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park – ein auf zehn Jahre angelegtes Zukunftsprogramm in Nordrhein-Westfalen, das in der strukturschwachen Region viel verändert und verbessert hat. Mittlerweile ist die Natur im Ruhrgebiet allgegenwärtig.
Der neue Wander-Steig im Ruhrgebiet
Ein weiteres Highlight im Ruhrgebiet ist der neue Baldeneysteig. Der Wanderweg führt rund um den gleichnamigen See und bietet auf knapp 27 Kilometern intensive Naturerlebnisse, regionale Geschichte und 600 Höhenmeter. Sportlich ist er damit nicht ganz so fordernd wie die Halden und Hügel beim Hopping, aber auch er bietet ganz viel Natur im Ruhrgebiet.
Entlang der Route stehen Relikte der Industrievergangenheit, etwa eine alte Seilscheibe der Zeche Pörtingsiepen. Inmitten einer blühenden Lupinenwiese wirkt das industrielle Überbleibsel wie von Künstlerhand geschaffen. Tafeln informieren hier über die Geschichte des Reviers und erfolgreiche Renaturierungsprojekte. Ich bin hier mit großem Vergnügen gewandert und danach zur Erfrischung in den See gehüpft. Bevor ich mir zum Abschluss einen Cocktail im Beachclub gegönnt habe – all das bietet der von vielen immer noch geschmähte „Pott“.
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Michael meint
Immerhin ist NRW weiterhin ein beliebtes Reiseziel und das Ruhrgebiet (näch Köln und dem Rhein Erft Kreis) immer noch die Nr. 2. Da muß „dein“ Partygast eben einen schönen Teil NRWs verpassen. 🙂
LG Michael
Antje meint
Das sehe ich ganz genauso – NRW ist als Reiseland extrem vielseitig. Und bietet so viel mehr, als viele glauben. 🙂
Antje Seeling meint
Hätte ich nicht gedacht, dass das Ruhrgebiet so grün ist. Sollte ich mir auch mal anschauen. Danke für die Tipps, des Schneckenboot finde ich besonders nett.
Antje meint
Gern geschehen… 🙂
Mary meint
tolle Sachen, Infos die man nirgends findet, danke für den tiefgründigen Artikel!